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Milch und Honig 4

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Die Geduld der Nachtigall

Karliah legte einen weiteren Scheit ins Feuer. Das Holz war nass, weitaus mehr dazu geeignet Rauch zu spenden als Wärme. Aber es war besser als nichts. Und besser als Nichtstun und Warten. Warten darauf, dass der Sturm sich legen, die Sonne aufgehen und ihre empfindlichen Augen blenden, aber ihren durchgefrorenen Körper wärmen würde. Warten darauf, dass die Khajiit, die an Frey's statt beinahe gestorben wäre, erwachen würde.
Kemunet, erinnerte sie sich. Ihr Name war Kemunet. Brynjolf schien eine gute Wahl getroffen zu haben, denn die Katze mit den bernsteinfarbenen Augen war all das, was ein Dieb sein sollte: geschickt, schnell und lautlos. Ein Schatten in der Nacht, der sich auf Gut Goldenglanz unbemerkt durch die Reihen der Wachen geschlichen und dem alten Aringoth nicht nur die Besitzurkunde, sondern auch die Bienenstatue, die er wie seinen Augapfel hütete, unter dem Kopfkissen weg gestohlen hatte. Und als sie auf Mercers Geheiß hin die Verkostung des Honigbräu-Mets in ein Desaster verwandelt hatte … Karliahs Quellen hatten ihr berichtet, dass die Kemunet an diesem Abend selbst unter den Gästen gewesen war. Und dass sie gemeinsam mit den Wachen von Weißlauf von dem verdorbenen Gebräu getrunken – und sich ihnen ächzend und stöhnend im Wettlauf auf das plötzlich nicht mehr ganz so stille Örtchen der Brauerei angeschlossen hatte. Gab es eine bessere Tarnung für den Täter, als die Rolle des Opfers? Die Dunkelelfe runzelte beunruhigt die Stirn. Das war Freys Handschrift, eindeutig. Wem also galt die Loyalität der Katze? Dem Gildemeister, der Gilde, der eigenen Geldbörse? So viel hing von dieser Antwort ab. Und sie konnte nichts weiter tun als warten.

Geduldig warten. Sie hatte so lange auf diese Gelegenheit gewartet, Pläne erdacht, verworfen und neu geschmiedet. Dieser hier war perfekt gewesen. Beinahe jedenfalls. Der vergiftete Pfeil hatte Mercer treffen sollen – nicht die Katze, die sich dort im aus steif gefrorenen Fellen und brüchigen Ästen improvisierten Unterstand unruhig hin und her wälzte.

Karliah seufzte. Sie hatte anscheinend wieder versagt, Gallus' Tod würde ungesühnt bleiben, die Dreieinigkeit unvollständig. Die Gilde würde nie erfahren, dass nicht sie es war, die die Verantwortung für ihren langsamen Niedergang trug. Nicht in erster Linie … Verdammt, sie hätte es wissen müssen! Damals wie heute.
Frey hatte zwar den honigsüßen Köder geschluckt, den sie ausgeworfen hatte. Aber wie hatte sie nur davon ausgehen können, dass er ihr einfach so vor den Bogen laufen würde! Er war ein gerissener Hund.
Nein, korrigierte sich sich und warf wütend einen weitere Ast in das Feuer. Während sie ihr wahres Ich hinter imaginären Personen verborgen hatte, hatte er sich hinter dem Rücken einer ahnungslosen Kameradin versteckt. Er war ein feiger Hund!

Sie schrak zusammen, als die Flammen plötzlich heller und heißer loderten. Der dicke Qualm, in dem sie noch eben Nocturnals enttäuschtes Gesicht entdeckt zu haben glaubte, wirbelte davon. Mit einer einzigen Handbewegung hatte der fremde Magier dem Feuer mehr Kraft verliehen, als es der Zorn, der in ihr brannte, vermocht hätte. Sie musterte ihn verstohlen aus lavendelfarbenen Augen. So, wie er ihr ohne großen Worte, nur mit einem finster drohenden, misstrauischen Blick auf die Klingen, die sie trug, in die Schneeschleierzuflucht gefolgt war, um die Khajiit zu retten, musste er so etwas wie ihr Wachhund sein; ein Soldmagier aus den südlichen Ländern vielleicht, dem die Kälte des Nordens ebenso zu schaffen machen schien wie ihr. Es war ein Wunder, dass er in der fadenscheinigen Robe, in die er gekleidet war, nicht schon längst erfroren war. Aber was wusste sie schon von den Zaubern, die er möglicherweise noch beherrschte? Sie hatte ihn mit bloßen, brennenden Händen einen Eistroll töten sehen, als sie vor Mercer Frey aus dem alten Nordgrab in die eisige Nacht fliehend beinahe in seine Schusslinie geraten war. Mit den gleichen Händen hatte er später die Wunden der Khajiit geheilt. Wunden, die tödlich hätten sein sollen, wenn es nach Mercer Frey gegangen wäre.

"Du … hast auf mich geschossen." Ein Flüstern, so leise wie das Geräusch fallenden Herbstlaubs und so rau wie der Wind, der über die gefrorenen Ebenen jagte. Doch es lag kein Vorwurf darin. Verwunderung ja, und vielleicht auch eine Spur von Anerkennung, jedoch kein Groll.
Karliah sog leicht die Luft ein. Da war er, der Hauch einer Chance, dass ihre Geduld belohnt werden würde – wenn die Katze besonnen genug war, sie ausreden zu lassen. Und wenn sie sich daran erinnerte, was im Grab geschehen war.

"Ja", antwortete sie und suchte den Blick des Magiers auf der anderen Seite des Feuers. Diese Tatsache hatte sie ihm bisher in verschwiegen. Wie würde er darauf reagieren? Die erboste Miene und das leise Knistern elektrischer Entladungen zwischen seinen Fingern zeigten der Dunmer deutlich, was er von Enthüllungen dieser Art hielt. Trotzdem zwang sie sich zur Ruhe, atmete tief durch und schloss für einen Moment die Augen. Tu es jetzt, Magier – oder nie … "Doch wenn ich dich wirklich hätte töten wollen, würden wir dieses Gespräch jetzt nicht führen", ergänzte sie sie nach einer Weile, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hatte.

"Das weiß ich", entgegnete die Khajiit. Ihre Stimme klang kräftiger, heiser-rauchig mit dem unverkennbar kehligen Elsweyr-Akzent und auf ihrem pelzigen Gesicht zeichnete sich etwas ab, das für Karliah nach einem schmerzerfüllten Lächeln aussah. "Caniswurzel und Sumpfpilzschote – ich habe es gerochen", fuhr die Katze fort, während sie sich aufsetzte, vorsichtig den Kopf hin und her drehte und die Schultern kreisen ließ. "Und was noch? Das Gift war stark, viel stärker als meine Tinkturen." Sie ballte die linke Hand zur Faust, öffnete und schloss sie einige Male. Dann wiederholte sie das ganze mit der Rechten und nickte – sichtlich zufrieden damit, dass ihr Körper wieder ihrem Willen zu gehorchen schien.

"Dornenherz." Die weiteren zwei Zutaten, wegen derer sie beinahe ein volles Jahr und ein kleines Vermögen investiert hatte, um die gerade einmal für eine Pfeilspitze ausreichende Menge des Giftes herstellen zu können, verschwieg Karliah. "Es verlangsamt den Schlag eines Herzens. Ihm hast du es zu verdanken, dass du noch nicht verblutet warst, als wir dich fanden."

"Und ihm habe ich wahrscheinlich auch diese höllischen Kopfschmerzen zu verdanken", brummte die Khajiit und massierte sich einige Zeitlang die Schläfen. Dann hielt sie inne.
"„Frey!" platzte es aus ihr heraus. "Er hat ..."
Sie sah an sich herunter, betastete den schartigen Riss in der Rüstung und jaulte leise auf, als selbst ein leichter Druck ihrer Handflächen genügte, um die Wunde dahinter wieder schmerzen zu lassen. "Er hat mir sein Schwert zwischen die Rippen gestoßen wie einem tollwütigen Straßenköter!" Sie runzelte die Stirn auf der Suche nach den Erinnerungen an die zurückliegenden Ereignisse im Grabhügel.
"Nicht du, sondern Frey hat Gallus getötet. Du hättest es nie gekonnt, denn ..." Ihr Blick streifte kurz den Magier, der sich müde und fröstelnd in seinen Umhang hüllte. Dann wandte sie sich wieder Karliah zu. "Gallus war dahinter gekommen, dass die Gewinne der Gilde nur zum Teil in die Schatztruhen des Rattenweges gewandert waren. Der Löwenanteil hatte seinen Weg in Mercers Taschen gefunden. Und Gallus hat sich geweigert, einfach so darüber hinweg zu sehen. Verdammt noch mal! Ich habe Frey gemocht, weißt du?"

Karliah nickte stumm und überließ es Kemunet, die weiteren Schlüsse zu ziehen. "Die fingierte Übernahme von Gut Goldenglanz … du wolltest gefunden werden, wolltest ihn aus der Reserve locken … Aber warum beim Barte des alten Katers hast du dann auf mich geschossen und nicht auf ihn?!" Die Katze erhob sich und machte einige vorsichtige Schritte durch den Schnee, um den Rest der Benommenheit ab zu schütteln.

"Es war keine leichte Entscheidung und für einen winzigen Augenblick war ich durchaus versucht, das zu tun. Aber ich hatte nie wirklich ein freies Schussfeld. Und ich hatte nur einen einzigen Pfeil zur Verfügung." Würde die Khajiit das Dilemma verstehen, in dem sie gesteckt hatte?
"Marrrrr ..."
Karliah war sich nicht ganz sicher, was sich hinter diesem in ein leises Schnurren übergehenden Miauen verbarg. Zustimmung, Bedauern, Verärgerung? Aus den Katzen würde sie wohl nie schlau werden! Seltsam berührt sah sie zu, wie Kemunet das Bärenfell nahm, das ihr bis eben noch als Lager gedient hatte, und es dem Magier um die Schultern legte. Dann ließ sie sich neben ihm nieder und wärmte sich die Hände am Feuer. Sie waren bemerkenswert menschlich, obwohl der Rücken von einem kurzen, honigfarbenen Pelz bedeckt war und die Innenflächen wie mattschwarzes Leder schienen. Die Finger hatten Krallen anstelle von Nägeln, so lang und scharf wie Pfeilspitzen und glänzend poliert wie Obsidian.

"Wenn du auf Frey geschossen hättest", sinnierte Kemunet, "... es hätte nichts an deiner Lage und an der ... mmmrrrr ... Situation, in der sich die Gilde befindet, geändert. Ich hätte jetzt zwar keinen solchen Brummschädel, hätte aber auch nie erfahren, was ich jetzt weiß. Mercer würde die Gilde noch immer betrügen - und wenn ich es nicht geschafft hätte, dich zu töten, würde er und ich dich gemeinsam jagen. Du hattest nicht wirklich eine Wahl." Sie seufzte. "Genau so wenig, wie ich jetzt eine habe. Ich habe ihn wirklich gemocht, verflucht!"

Die Dunkelelfe legte fragend den Kopf zur Seite. "Du wirst mir also helfen?"

"Ich weder der Gilde helfen", knurrte die Katze. "Und du wirst mir verraten, wie."

Karliah nickte und legte einen weiteren Scheit in das Feuer. Sie hatte alle Antworten, die sie brauchte. Der Sturm tobte noch immer, doch das Warten hatte ein Ende.

Noch eine kleine Episode über Kem (und Marrrrr ...) - und eine Spoilerwarnung für alle. die sich für die Diebesgilde entschieden haben und bis jetzt noch nicht auf Karliah getroffen sind!

Dieses Stückchen ist wieder von der ernsteren Sorte, eine etwas andere Version des Gesprächs am Ende der Diebesgilden-Quest "Vielsagendes Schweigen".

Für alle die, die das Spiel nicht gespielt haben, oder die, die sich nicht wie ich auf die eher moralisch fragwürdigen Quests der Diebesgilde eingelassen haben, wird dieser Text wahrscheinlich nicht so ... vielsagend sein. Sorry. (Das nächst Kapitel wird dann sicher bestimmt wieder mehr nach eurem Geschmack.)
Aber ich musste das hier ganz einfach schreiben - verdammt noch mal, ich mochte Mercer Frey wirklich!!!


credits
Thumbs Up Marcurio, Mercer und Karliah gehören zum Spiel "The Elder Scrolls V: Skyrim", die Spielrechte liegen bei Bethesda Softworks.
Thumbs Up Das Vorschaubild hat SilasAleks gezeichnet. Danke! :thanks:

Hier die vorhergehenden Kapitel (kann man gelesen haben, muss man aber nicht - aller Kapitel sind Stand Alone Oneshots):

Milch und Honig 1
Milch und Honig 2
Milch und Honig 3

und hier geht es weiter

Milch und Honig 5
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schwarzeMoewe's avatar
Ach, noch ein erfrischender Skyrim-Auszug voller Erinnerungen. Kemunet passt wirklich perfekt in diese Szene und in die Diebesgildenquest. Meine Nord wirkte da ein wenig fehl am Platz.

Aber zur Geschichte. Zwar wusste ich, wie diese Szene ausgeht, aber sie war trotzdem erfrischend, wie Marcurio mit dem Feuer spielt, einen Eistroll grillt und Kemunets Wunden heilt -- wenn auch fast alles nur in der Rückblende. Außerdem gefällt mir Kemunets doch ziemlich ruppige Art immer noch sehr. Nur für ihren Zauberlehrling lässt sich doch ein bisschen die Barrieren fallen, was sie dann doch wieder sympathisch macht. Auch Karliahs Zweifel sind sehr gut dargestellt, denn sie kann sich natürlich nicht sicher sein, wie eng Kemunet mit Mercer verbunden ist ...

... obwohl man einem Mann, der einem sein Schwert zwischen die Rippen gestoßen hat, nicht unbedingt zur Treue verpflichtet ist ...

Nun ja, du hast mir mal wieder Lust auf mehr gemacht. Ich schleiche jetzt unauffällig zur nächsten Geschichte. ;)