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Sand und Seide 3

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shoughad's avatar
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Am Fluss

Es gab Arbeit genug für uns alle, wenn sich die Wagen mühsam durch Flüsse und Hohlwege quälten, Hügel erklommen und dichte Wälder durchquerten. Trotzdem nutze ich die wenigen Pausen, in denen Furten und Birgen die Ochsen tränkten oder das Nachtlager aufbauten, gern für mich.
Je nach Stimmung saß ich entweder bei Daschnaya und lauschte gebannt ihren Erzählungen über die große Wüste, das Ziel meiner Reise. Sie berichtete von vergessenen Städten, die unter ihren Dünen begraben sein sollten, von Mischwesen – halb Mensch, halb Skorpion, von in Staub und Sand träumenden Schätzen ...
Oder aber ich suchte mir einen abgeschiedenen Ort in der Nähe unseres Rastplatzes, um zu meditieren. Nichts war erholsamer, als einige endlose Augenblicke in sich selbst versinken zu können, nur dem eigenen Atem hörig zu sein und die äußere Welt weit hinter sich zu lassen. Und doch gelang es mir nie, weit genug zu fliehen, um die Erinnerung an diese eine Nacht auszulöschen.

Eines Tages - wir lagerten an den Ufern des Schimmerflusses - hatte ich mir eine versteckte Lichtung für meine tägliche Einkehr gesucht. Ich kniete auf dem weichen Boden. Meine Hände ruhten entspannt auf den Oberschenkeln und ich genoss mit geschlossenen Augen die tröstliche Gegenwart der Natur. Natur - Geben und Nehmen im Gleichgewicht. Keine Gier, kein Schmerz, kein Hass, keine Liebe, kein Schmerz ...
Plötzlich spürte ich, wie sich das Ki um mich herum leicht und auf eine bemerkenswert vertraut erscheinende Art veränderte. Ich roch Wein und Leder und lächelte, die Augen noch immer geschlossen.
"Torias."
"Kesh, was tust du da?"

Vielleicht war es ja Zufall, dass er mich von Anfang an bei meinem wahren Namen nannte. Kesh – der Schild. Oder aber aus der Sicht des Halblings mochte die Verniedlichung Keshi, die vielen Menschen so leicht von der Zunge geht, nicht angebracht erschienen sein. Dieses Mal fühlte ich mich beim Klang meines Namens seltsam berührt und ließ zu, dass die Erinnerungen, die ich gerade weit von mich geschoben hatte, zurück fluteten; eine sanfte Woge, voller Düsternis und doch verheißungsvoll wie ein freundliches Echo.
"Ich meditiere."
"Du schläfst!"
"Ich meditiere. Das ist etwas anderes!"
"Mir ist egal, wie du es nennst." Torias lachte. "Aber selbst ein dummer Kobold hätte jetzt leichtes Spiel mit dir."
Die Woge verebbte und wandelte sich zu einem breit dahin strömenden Fluss. An seinem sandigen Ufer kniete ein kleines, rothaariges Mädchen - noch namenlos -, das mit verbundenen Augen in die Nacht und auf das Singen der Klinge von Meister Ginadh lauschte.
Ob ich es wohl heute noch könnte? Ich hielt die Augen geschlossen und neigte den Kopf ein wenig. *Ja* flüsterte mir der kleine Schatten aus meiner Vergangenheit aufmunternd zu.
"Versuch mich nicht, Torias!"

Erneut spürte ich ein leichtes Wirbeln im Ki. Fast unhörbar knisterte Laub. Ich musste ihm zugestehen, dass er sehr geschickt war. Sein Schritt glich dem kaum wahrnehmbaren Schlag eines Eulenflügels. Wenn nicht der leichte Weindunst gewesen wäre, der ihn umgab, hätten meine Chancen merklich schlechter gestanden. So aber ...
Ich hielt die Augen geschlossen, lehnte mich zurück, umschloss das Gestern mit meiner linken und das Morgen mit meiner rechten Hand, breitete die Arme aus und öffnete langsam die Fäuste. Vergangenheit und Zukunft zogen davon wie zwei Schwalben im Sommerwind und schufen Raum für die Gegenwart. Das Jetzt durchströmte mich. Pur und pulsierend, klarer als je zuvor: die Lebenskraft eines jeden Wesens in meiner Nähe. Jetzt. Die ruhig schwankenden Säulen der Bäume. Jetzt. Das flirrende Gewimmel der Ameisen im Gras. Jetzt. Ich selbst, ein schwereloses Wehen im Wind. Jetzt.

Torias war unbewaffnet. Er schlich sich vorsichtig von vorn an. Noch ein weiterer Schritt, dann würde er auf mich zu springen und seinen Schwung nutzen, um mich zu Boden zu werfen. Die linke Schulter ist sein Ziel. Nein! Ich musste kurz über meine Unachtsamkeit schmunzeln. Es ist Torias. Er wird vor dem Absprung taumelnd das Gewicht verlagern. Die rechte Schulter also ...
Als der leichte Windzug, der seinem Angriff voraus ging, meine Wange streifte, wandte ich meinen Oberkörper leicht nach links, ergriff mit der Rechten seinen ausgestreckten Arm und verlängerte seinem Flug mit einem freundlichen Klaps auf den Rücken bis in das Gebüsch hinter mir. Es krachte bedenklich. Und das, obwohl ich mir noch nicht einmal besonders viel Mühe gegeben hatte.
"Hast du dich verletzt?", fragte ich besorgt.
"Nein", erscholl es dumpf aus dem Haufen aus Zweigen und Blättern. Durch das vom Weingeist verwaschene Ki des Halblings blitzte kurz und erstaunlich klar ein Gefühl auf, das ich sehr wohl kannte. Verletzter Stolz. Oh ha!
Damit war es für heute um meine besinnliche Zeit der Meditation geschehen! Ich seufzte und wappnete mich für den erneuten Angriff. Diesmal von hinten und - oh ja - mit gezogenem Messer.
Das kleine Mädchen am Strom lachte vergnügt. Ich konnte einen erneuten Seufzer nicht unterdrücken. Es hatte gut lachen! Es wusste noch nicht, was die die Zukunft bringt. Lachen – ja. Aber nicht nur. Und doch entschied ich, heute seine Unbeschwertheit zu teilen. Um Torias für den Rest des Kampfes nicht die Gelegenheit zu geben, mich der Mogelei zu bezichtigen, löste ich das um meinen Schildarm geschlungene Tuch aus Seide und verband mir damit die Augen - während ich seinen erstaunlich gut gezielten Hieben auswich.

Unser "Wettkampf" endet erst, als die Sonne schon tief hinter den Wipfeln der Bäume versunken war. Es brachte mir vom stundenlangen Knien eingeschlafene Füße, einen Schnitt in der Wange und eine neue, ungewöhnliche Frisur ein. Außerdem einen ausgewachsenen Rüffel von Katriana, den ich leichten Herzens mit einem verschwitzen, zerzausten und durstigen Torias teilte. Als wir beide auf ihr Geheiß hin müde und zerschlagen Brennholz für die Nacht sammelten, kamen wir stillschweigend überein, in Zukunft nicht mehr gegeneinander, sondern nur noch miteinander zu kämpfen.

An diesem Abend fällte mich das erdige Zwergenbräu, das der Halbling aus den Tiefen seiner Vorräte hervor gezaubert hatte, wie einen Baumstamm. Selbst der dümmste Kobold hätte ein leichtes Spiel mit mir gehabt. Glücklicherweise schnarchte und rülpste Xanos für vier ....
Warnung! :) Das hier ist recht altes Zeug von mir, geschrieben Ende 2009/Anfang 2010, als ich noch auf der Suche nach meinem eigenen Schreibstil war und mich dabei auch ab und zu mal mächtig verlaufen hatte.

In diesem Kapitel erzählt Kesh ein bisschen mehr über sich und lässt allen ihren Vorsätzen zum Trotz wieder Gedanken an Ereignisse ihrer Vergangenheit zu, an die sie sich eigentlich nie wieder hatte erinnern wollen.


Was bisher geschah:
:bulletblack: Vorspiel
:bulletblack: Die Halblings-Karawane

Wie es weiter geht:
:bulletred: Schwarzsand




:thumbsup: "Sand und Seide" ist eine Fanfiktion zum Neverwinter Nights-Add On "Schatten von Undernzit".
:thumbsup: Die Rechte an den PC Spielen Neverwinter Nights und Schatten von Undernzit liegen bei BioWare/Atari/Wizards of the Coast/Obsidian (ich hoffe, ich habe keinen vergessen)
:thumbsup: Das Vorschaubild hat *TheWildGrape, die Frau mit den wildesten Stiften der Welt, gezeichnet.
Comments2
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Tutziputz's avatar
Nette kleine Zwischenepisode. Ohne große Action aber verspielt und amüsant geschrieben... und ein sehr gelungenes Ende.

Es hat richtig Spaß gemacht, sie zu lesen. :)